Herzensleistung

Es ist wahrlich nicht zu übersehen. Wir leisten (uns) was! Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Wir leisten und leisten und leisten, was das Zeug hält. Von allen Seiten hören wir das Dozieren darüber, wie wichtig diese Leistung ist, wie sehr die Ansprüche an uns gestiegen sind, wie sehr wir alle uns noch viel mehr ins Zeug legen müssen. Wir sind jetzt weltweit vernetzt, globalisiert wie es heisst. Wir sind im weltweiten Wettbewerb heisst es. Und weiter heisst es, dass wir mithalten müssen in diesem merkwürdigen Welt-Zirkus, dass wir uns dieser Geschwindigkeit, die uns unser Leben im Zeit-Raffer(!)-Tempo abwickeln lässt, eben anpassen - und, koste es was es wolle, Leistung erbringen müssen.

Die Klage über diese "Zustände" ist nun nichts neues, mindestens gefühlt die Hälfte der aktuellen Beratungsliteratur beschäftigt sich mit den Themen des "Innehaltens", aber dennoch werde ich seit unserer Rückkehr aus den Ferien die Frage (wieder einmal) nicht los, ob wir hierzulande eigentlich noch bei Trost sind.

Nun könnte es natürlich sein, dass ich mir in den Tagen auf dieser wunderbaren italienischen Insel eine „Auszeit-Neurose“ zugezogen habe. Oder aber eine Art von Ferien-Virus, der es mir nach dem „dolce vita“ und der Rückbesinnung auf mich selbst ein wenig schwer macht, mich wieder in die "normalen" Strukturen einzugliedern. Möglicherweise ist das so, aber ehrlich gesagt hat dieser Ferien-Virus, das Meer und der weite Horizont eine sehr heilsame Wirkung auf meine Lebens-Betrachtung. Und wie gut tut es, das scheinbar Normale unserer normalen Strukturen zu hinterfragen ! Denn wer ist es, der uns sagt, dass wir uns diesen Gegebenheiten anpassen müssen, wer ist es, der uns glauben macht, dass diese Entwicklungen unausweichlich wären ? Und wer ist es, der bestimmt, wie wir zu "funktionieren", zu denken, oder gar zu lieben haben ? Wozu ist das wirklich gut, wem oder was dient es .... und was macht es mit mir ?

Der Blick auf das Prinzip der gefeierten Leistung bringt mich gleich zu der Frage, was wir in unserer Gesellschaft als "Leistung" anerkennen, welche Kriterien sind das ?

Und ich sehe, dass wir zum Beispiel Sportler bewundern für ihre Taten.Schneller, höher, weiter, ob gedopt oder nicht, Hauptsache die Leistungen grenzen an das Übermenschliche. Bravo ! Eine Leistungsschau der Superlative. Wir schauen auf Menschen, die viel und andauernd arbeiten und viel bewegen, ganz unabhängig davon, ob das, was sie tun auch einen wirklichen Gewinn für uns bedeutet. Auch Menschen, die Kluges sprechen, die Kluges zeigen sind uns Anerkennungen wert. Wir applaudieren sogar heimlich den Gestressten, denn wer sich selbst in so ein aufopferndes Unentbehrlichkeits - Karussel bringt, muss es doch wirklich „drauf“ haben. Ich könnte noch viele weitere Beispiele anführen und alle würden zeigen, dass die Top-Kriterien für gute Leistungen fast ausschliesslich etwas mit äusserlichen, vorzeigbaren, und messbaren Ergebnissen zu tun haben.

Und dann schaue ich in meinen Bekannten- und Freundeskreis, schaue auf unsere Klientinnen und Klienten und frage mich, warum eigentlich die psychischen und seelischen Leistungen von Menschen in unserer Gesellschaft überhaupt keine Anerkennung finden können ! Ganz im Gegenteil werden diejenigen, die an sich arbeiten, die versuchen innerlich weiter zu kommen, die mit riesigem Einsatz ihr seelisches Wachstum vorantreiben und dabei oft keine Anstrengung scheuen, oftmals belächelt, als "möglicherweise krank", als "psychisch labil“ (um noch die freundlichesten Kriterien zu nennen) angesehen. Mitarbeiter von grossen Firmen erzählen mir, dass sie besser daran tun, niemanden von ihren Coaching-Stunden zu erzählen. In den Personalakten werden "solche Dinge" als Risiko-Faktoren gewertet. Risiko wohlgemerkt für die Firma, denn diese Mitarbeiter sind wohl nicht wirklich belastbar, sonst würden sie keinen Therapeuten/Coach brauchen.

Ausnahmen sind mittlerweilen natürlich Coaching-Bemühungen, die dazu dienen, den Menschen für das Unternehmen zu "optimieren", ihn fit zu halten für ein effektives Team. Das ist im grunde ja begrüssenswert. Und geradezu wunderbar, wenn dabei innerhalb eines Teams oder gar der ganzen Firma ein Klima entstehen kann, das neben der Effizienz auch der Mitmenschlichkeit eine höhereWertigkeit verschafft. Das wird inzwischen akzeptiert und gefördert. Aber wehe, wenn sich einer dieser Mitarbeiter um sein Seelenheil und um das Verständnis seiner selbst kümmert, wehe, wenn er gar Veränderungen in seinem Leben anstrebt. Es passiert offensichtlich sehr leicht, dass diese Menschen als nicht merh Leistungsfähig (was für ein Prädikat !) betrachtet und abgestempelt werden. In Wahrheit sorgen gerade diese Menschen dafür, dass sie sich nicht ausbrennen lassen, dass sie auch auf lange Sicht hin der Firma zur Verfügung stehen können und dass sie in ihrem Team vielleicht sogar eine verbesserte Qualität der Zusammenarbeit schaffen.

Von Lehrern hören wir, dass es auf keinen Fall bekannt werden darf, dass sie Unterstützung in Form eines Coachings annehmen. Denn die unumstössliche Meinung herrscht, dass solche Lehrkräfte dem Schulalltag nicht gewachsen sind. Lehrer! ..... Gerade diese Menschen, die reihenweise wegen BurnOut-Syndromen und psychischer Überlastung ausfallen, bräuchten dringendst eine Möglichkeit, ihre innere Balance wiederzufinden oder auch zu halten! Schliesslich erwarten wir ja alle, dass sie unseren Kindern ein Beispiel für eine stabile Persönlichkeit sind. Ich erkläre mir diese merkwürdigen Meinungen, die so offiziell vertreten werden, damit, dass sich viele Menschen bisher noch nicht wirklich Gedanken darüber gemacht haben, warum sich so mancher ihrer Mitmenschen die Mühe macht, sich in eine Therapie, eine Selbsterfahrung oder in ein Coaching zu begeben. Würden sie mal nachfragen, so könnten sie erfahren, dass diese Menschen mehr über sich erfahren möchten, sich selbst und andere Menschen besser verstehen lernen möchten und dass sie sich nicht mehr blenden lassen von äusseren Werten.

So ein Fragesteller könnte erfahren, was für einen Mut es manchmal erfordert, sich sich selbst zu stellen, sich selbst zu hinterfragen und auftauchende Probleme nicht einfach nur zu ignorieren und zu verdrängen. Ihm könnte auch berichtet werden, was für grosse Gewinne all diese „Selbst-Erforscher“ einfahren können, wie schön es sein kann Wege für sich selbst frei zu machen und wie sehr das auch ein Gewinn für ihre Mitmenschen sein kann. Wie sagte doch ein alter Meister: „Wer sich auf den Weg gemacht hat, sich selbst zu begegnen braucht keine anderen Abenteuer mehr“. Ich betrachte es als eine Höchstleistung, wenn ein Mensch einen Teil seiner Energie und seiner Zeit dafür einsetzt, sich selbst Schritt für Schritt von den Dingen zu befreien, die ihn daran hindern zu wachsen. Es ist aus meiner Sicht eine seelische Höchstleistung dafür zu sorgen, dass das eigene Leben sich immer weiter verbessert. Und zwar nicht im materiellen- und auch nicht im Karriere-Leiter-Sinn, sondern viel mehr im Sinne der eigenen Herzqualität und der Qualität in der Begegnung mit anderen.

Gäbe es eine Hymne auf die Selbst-Erforscher, ich würde sie täglich trällern.

Und es ist mir eine wahre Freude mit Euch Höchstleistungs-Seelenforscher arbeiten zu dürfen.

Und ich verneige mich vor Euch.

Jo Schmid